Ich bin wirklich in dieser Hinsicht ein wahnsinnig schlechtes Vorbild. Meistens läuft meine Vorbereitung so ab: ich zieh mich an, such panisch nach meinen Kopfhörern und hoffe, dass sie aufgeladen sind, schalte meine Suunto ein und laufe los. Wenn ich nach Hause komme, dehne ich meistens ein bisschen. So pro forma. Aber auch nicht wahnsinnig viel, weil ich dann durstig bin, duschen will, meinen Lauf analysieren will. Mache ich damit alles falsch? Oder unbewusst doch richtig? Ist Dehnen so wichtig? Oder handelt es sich gar nur um einen Mythos? Eine Spurensuche.
Was passiert beim Laufen?
Beim Sport spannen sich die Faszien rund um die Muskeln an. Bleiben diese unter Spannung, steigt angeblich das Verletzungsrisiko. Dass Muskeln verkürzen, stimmt aber nicht. Rein wissenschaftlich betrachtet1 ist das nicht möglich. Wenn du dich mit durchgestreckten Beinen hinstellst und erfolglos versuchst, mit den Handflächen den Boden zu berühren, liegt das also nicht daran, dass du „verkürzte“ Muskeln hast. Die bleiben immer gleich lang. Die neuronale Ansteuerung – also eigentlich der elektrische Impuls an die motorischen Einheiten – ist Schuld, wenn das nicht klappt. Du kannst noch so untrainiert sein: Wenn man dich in Narkose versetzt, kann man dein Bein ans Ohr legen. Bei Sportarten wie Yoga trainierst du deine neuronale Ansteuerung.

Wahrscheinlich denkst du beim Laufen zuerst an die Beine. Aber in Wahrheit beansprucht diese Sportart auch die Oberarme, Bauchmuskeln, die Nacken- und Rückenmuskulatur. Bei jedem Training werden die Muskeln einem Widerstand ausgesetzt. Ist dieser zu hoch, entstehen mikroskopische Risse (Mikrotraumen). Die sind normal und heilen wieder ab. Den sogenannten Satellitenzellen, die sich außerhalb des Muskels befinden, sei Dank. Je tiefer die Risse, desto höher der Schmerz. Den kennen wir alle als Muskelkater.
Was bringt Dehnen?
Mittlerweile gibt es zahlreiche Belege dafür, dass Dehnen Verletzungen allerdings nicht verhindert, die Leistungsfähigkeit nicht steigert und auch nicht gegen Muskelkater hilft. Eigentlich ist Letzteres ja ganz logisch: Die Muskeln sind eingerissen, wie wir oben gelernt haben. Und was denkt ihr passiert, wenn man diese jetzt nach dem Sport auch noch der Dehn-Belastung aussetzt? Richtig. Sprinter, die ihren Muskeln vor der Belastung durch Dehnen die Vorspannung für Schnell- und Explosivkraft nehmen, setzen sich sogar einem höheren Verletzungsrisiko aus.
Für viele Mythen rund um das Thema Dehnen gibt es keine wissenschaftlich haltbaren Belege.
Ein Artikel im Aspetar Sports Medicine Journal2 zeigt, was Dehnen wirklich bringt. Tatsächlich wird man durch statisches Dehnen kurz- und langfristig beweglicher. Denselben Effekt hat aber auch Krafttraining. Hierbei sind die Ergebnisse sogar noch besser. Vor einer sportlichen Aktivität, die Maximal- und Schnellkraft erfordert, wirkt Dehnen, das länger als 45 Sekunden dauert, leistungsmindernd. Das gilt auch für Ausdaueraktivitäten. Dass Dehnen verletzungspräventiv wirkt, konnte wissenschaftlich angeblich nie erwiesen werden3.
Dehnen vor dem Sport
Wie ihr wisst, bin ich keine Sportmedizinerin. Ich kann euch also gar nichts raten. Ich kann euch nur sagen, was meine Recherchen zum Thema „Warum ist Dehnen so wichtig“ ergeben haben. Und wie so oft im Leben einigt man sich in dieser Hinsicht auf „kommt drauf an“. Das richtige Dehnen sollte an die Bewegung angepasst sein. Vor dem Sport ist es eher wichtig, die Muskeln aufzuwärmen. Beim Laufen heißt das also: langsam losjoggen und erst dann die Belastung steigern. Dynamisches Dehnen – also kurze, wiederholte Dehnbewegungen – können dann sinnvoll sein.

Dehnen nach dem Sport
Um zu vermeiden, dass du dir durch Dehnen zusätzliche Verletzungen zuziehst, solltest du nur nach lockerer Belastung dehnen. Nach dem Marathon lieber auslaufen und auflockern. Statische Dehnübungen führen zu einem stärkeren Muskelkater4.
Wie ich es für mich handhabe
Was ich nicht gedacht hätte: Scheinbar mache ich die Sache mit dem Dehnen instinktiv richtig. Also zumindest den ersten Teil mit locker loslaufen. Meinem Freund Sebastian gab mir mal den Tipp, nach etwa einem Kilometer, dann wenn die Muskeln schon warm sind, ein bisschen zu dehnen. Das werde ich auch weiterhin machen. Ich achte aber darauf, dass die Dehnung dynamisch ist. Also kleine, häufigere Dehnbewegungen in Folge statt einer langen Stretchingposition.

Und am Ende eines Laufes gehe ich noch eine kleine Runde, um die Muskeln zu entspannen. Bei Läufen, in denen es um Zeit geht (aka „Wettkämpfe“), laufe ich mich locker ein und verzichte auf das Dehnen.Ihr wisst schon: Vorspannung und Schnelligkeit.Sportarten wie Yoga, in denen es sehr um die Dehnung geht, mache ich unabhängig dazu. Denn manchmal fühlt es sich einfach gut an, den ganzen Körper zu stretchen. Wie macht ihr das? Was ist für euch persönlich der beste Weg?